29.05.09

Mensch am Schlauch

Vor 40 Jahren gründete das Krankenhaus Bethanien die Dialyse-Abteilung

Zwei rote Schläuche verbinden Herrn Neumann mit einer Maschine. Vor sechs Jahren war der heute 37-jährige Moerser Handwerker nach einem Zusammenbruch als Notfall ins Krankenhaus eingeliefert worden. Chronische Nierenerkrankung nach einem eigentlich harmlosen Infekt, lautete damals die Diagnose. Seither kommt er regelmäßig zur Dialyse. Dabei werden die Giftstoffe aus dem Blut "gewaschen", für deren Abbau eigentlich die Nieren zuständig sind.

Weil die von Visanu Neumann aber nicht mehr richtig arbeiten, muss eine Maschine den Job übernehmen. Das dauert fast sechs Stunden - drei Mal in der Woche. Um sich die Zeit zu vertreiben, sieht Visanu Neumann fern oder er liest. „Die Ärzte und Pfleger sind sehr freundlich. Ich kenne auf der Station fast jeden, weil man während der langen Behandlungszeit das Gespräch mit den Leuten sucht“, sagt er. Vom Bett seines Einzelzimmers kann Visanu Neumann durch Glassscheiben direkt in die Nachbarzimmer rechts und links gucken. Will man ungestört sein, zieht man einfach die Jalousien zu. Rumlaufen geht nicht, wegen der Schläuche.

Vor vierzig Jahren wurden erstmals nierenkranke Patienten in Bethanien behandelt. Das war echte Pionierarbeit, berichtet der heutige Chefarzt Dr. Wolfgang Groß. Seit den vierziger Jahren war das Dialyseverfahren zwar erprobt, aber mehr als zwanzig Jahre später, 1969, immer noch nicht sehr weit verbreitet, als die Moerser damit begannen. "Die Station bot bei ihrer Einrichtung vier Dialyse-Plätze, später neun", so Dr. Groß. Die Nephrologie hatte sich damals gerade als neues Fach innerhalb der Inneren Medizin gebildet mit dem Ziel, Nieren- und Hochdruckkrankheiten zu erkennen und zu therapieren. „Diese Tradition führen wir auch heute fort, allerdings mit viel moderneren diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten und mit neuester Technik“, sagt der Chefarzt.

Dialyse wurde sicherer

Was heute computergesteuerte Dialyse-Maschinen ziemlich geräusch- und fehlerlos mit der Erstellung von sogenannten Messprotokollen leisten, stellte sich vor vierzig Jahren allerdings noch etwas schwieriger dar. Mit komplizierten Rechenformeln mussten die Ärzte in den sechzigern jeweils berechnen, wie lange und wie intensiv die Maschine zu arbeiten hatte. Wenn der Arzt sich nur minimal verrechnete, entzog die Maschine dem Körper des Patienten zu viel Flüssigkeit - und der Patient konnte ein heftiges Kreislaufproblem bekommen. Erst mit der Anschaffung besser Apparate aus den USA durch Dr. Bielert, den Chefarzt-Vorgänger von Dr. Groß, wurde die Dialyse für die Patienten sicherer.

Erfindungsgeist war seinerzeit auch bei der leidigen Wasserfrage vonnöten. Die Dialyse-Maschinen benötigen für die Dialyse bis heute sehr viel Wasser, das extra aufbereitet werden muss. So etwas zu konstruieren wäre damals sehr teuer und zeitaufwändig gewesen. Damals wurde in Bethanien Deutschlands erste Umkehrosmose-Anlage installiert. Die tonnenschwere Anlage stammte aus Dänemark - ausgebaut aus einer alten Zuckerfabrik. Heute ist das Ungetüm längst durch einen kühlschrankgroßen Kasten ersetzt, der die gleiche Aufgabe ohne Murren auf einfachen Knopfdruck erledigt.

Insgesamt stehen der Station heute zehn quasi im Dreischicht-System genutzte Dialyse-Betten zur Verfügung, dazu zwei gesonderte Räume für Patienten mit Hepatitis-Infektionen, ein weiterer Behandlungsraum und zwei Akut-Räume, in denen Notfallpatienten versorgt werden können. Das Team, dass sich neben den ambulanten Dialysepatienten auch um die stationären Patienten mit Nierenerkrankungen und um die nephrologische Ambulanz kümmert, besteht aus sechs Ärzten und etlichen speziell für den Bereich Dialyse aus- und fortgebildeten gebildeten Krankenpflegerinnen und -pflegern.

Zuwendung für die Patientinnen und Patienten

"Die Betreuung von Dialyse-Patienten, die ja für viele Stunden in der Woche bei uns sind, verlangt viel Aufmerksamkeit und Zuwendung", erläutert Dr. Groß. Patienten, die die Dialyse zu Hause durchführen können, werden vom Ärzte- und Pflegeteam sorgfältig geschult und alle vier Wochen anhand der Messprotokolle optimal eingestellt. Die einzige Möglichkeit für nierenkranke Menschen, von der Dialyse unabhängig zu werden, ist bis heute die Transplantation einer Spenderniere. „Man wartet im Durchschnitt bis zu fünf Jahre auf eine Spenderniere“, erzählt Patient Neumann. Die Wartezeit ist deshalb so lang, weil es zu wenige Spenderorgane gibt.

Vor seiner Krankheit hatte Neumann, wie er sagt, ein ganz normales Leben. "Ich bin früher mit meinem eigenen Auto gefahren und besaß sogar ein Motorrad. Heute kann ich wegen der Krankheit nur noch Taxi fahren.“ Es habe gut fünf Jahre gedauert, bis er mit der Krankheit klar kam. Als Handwerker, der immer irgendwie beschäftigt ist, sei es ihm anfangs nicht leicht gefallen, drei mal pro Woche einen halben Tag im sitzen oder liegen an der Maschine zu hängen. Doch seine Freunde, Eltern und auch das Ärzte- und Pflegeteam macht ihm Mut. Nach einer Transplantation könnte er wieder ein weitgehend normales Leben führen - ohne Dialyse und die zwei lästigen roten Schläuche im Arm.